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Lektion 7

Der Höhepunkt

Mosaic of the crucifixion

Übersicht

Der zweite Teil des Johannes-Evangeliums wird auch Buch der Herrlichkeit genannt. Die Kapitel 13 bis 19 handeln vom Leiden und Sterben Jesu. Alle vier Evangelien berichten von den gleichen Ereignissen, aber das Johannes-Evangelium unterscheidet sich in vielen Details von den anderen Evangelien. Für Johannes ist der Tod Jesu der Moment seiner Verherrlichung, wohingegen die synoptischen Evangelien sich auf das menschliche Leiden und die Erniedrigung Jesu konzentrieren. Johannes dagegen betont seine Erhöhung. Das Johannes-Evangelium berichtet davon, dass Jesus in die Welt gekommen ist, um uns zu retten. Nachdem dies vollbracht ist, kehrt er durch sein Sterben am Kreuz zum Vater zurück. Im Gegenzug verherrlicht der Vater den Sohn, nicht nur in seiner Göttlichkeit, sondern auch in seiner Menschlichkeit. Johannes möchte uns damit zeigen, dass Jesus trotz allem, was geschieht, die Kontrolle über die Situation und sein eigenes Schicksal behält.

Lernziele

Sie werden diese Lektion erfolgreich abgeschlossen haben, wenn Sie

  • erklären können, wie Johannes Leiden und Tod Jesu als den Moment seiner Verherrlichung darstellt;

 

  • erklären können, wer der wahre Feind Jesu ist und wie er vorgeht;

 

  • beschreiben können, wie Jesus trotz seines unermesslichen Leidens in jedem Moment seiner Passion (beim Letzten Abendmahl, im Garten Getsemani, beim Prozess, bei der Kreuzigung) die Kontrolle über die Situation und sein eigenes Schicksal behält;

  •  die Realitäten des Alten Testaments beschreiben können, die Jesus während seiner Passion erneuert hat.

Die Herrlichkeit Jesu

Die Gegner Jesu glauben, sie könnten seine Pläne durchkreuzen, indem sie ihn töten, aber in Wirklichkeit geschieht das Gegenteil: Jesus besiegt sie. Deshalb stellt Johannes das Leiden und den Tod Jesu als den Moment seiner Verherrlichung dar. In Kapitel 12 lesen wir:

Jetzt ist meine Seele erschüttert. Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen! Da kam eine Stimme vom Himmel: Ich habe ihn schon verherrlicht und werde ihn wieder verherrlichen. Die Menge, die dabeistand und das hörte, sagte: Es hat gedonnert. Andere sagten: Ein Engel hat zu ihm geredet. Jesus antwortete und sagte: Nicht mir galt diese Stimme, sondern euch. Jetzt wird Gericht gehalten über diese Welt; jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen werden. Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen. Das sagte er, um anzudeuten, auf welche Weise er sterben werde. (12, 27-33)

Das Motiv von der Herrlichkeit Jesu durchzieht das ganze Johannes-Evangelium. Die Worte „Herrlichkeit“ oder „verherrlicht“ kommen 42-mal vor:

Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. (1, 14)

 

 Ehre von Menschen nehme ich nicht an. (5, 41)

 

Wie die Schrift sagt: Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen. Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn glauben; denn der Geist war noch nicht gegeben, weil Jesus noch nicht verherrlicht war. (7, 38-39)

 

Jesus antwortete: Wenn ich mich selbst verherrliche, ist meine Herrlichkeit nichts. Mein Vater ist es, der mich verherrlicht. (8, 54)

 

Diese Krankheit führt nicht zum Tod, sondern dient der Verherrlichung Gottes. Durch sie soll der Sohn Gottes verherrlicht werden. (11, 4)

 

Das alles verstanden seine Jünger zunächst nicht; als Jesus aber verherrlicht war, da wurde ihnen bewusst, dass es so über ihn geschrieben stand und dass man so an ihm gehandelt hatte. (12, 16)

 

Jesus aber antwortete ihnen: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird. (12, 23)

Tatsächlich vollbringt Jesus seine Zeichen, um seine Herrlichkeit zu offenbaren.

 

So tat Jesus sein erstes Zeichen, in Kana in Galiläa, und offenbarte seine Herrlichkeit und seine Jünger glaubten an ihn. (2, 11)

 

Aber für Johannes beginnt die Verherrlichung Jesu nicht erst mit seiner Auferstehung oder Himmelfahrt. Im Gegenteil, sie beginnt bereits mit seinem Leiden. Deshalb werden die Kapitel 13 bis 20 auch Das Buch der Herrlichkeit genannt.

Als Judas hinausgegangen war, sagte Jesus: Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht und Gott ist in ihm verherrlicht. Wenn Gott in ihm verherrlicht ist, wird auch Gott ihn in sich verherrlichen und er wird ihn bald verherrlichen. (13, 31-32)

Für Johannes ist die Passion Jesu nichts Beschämendes oder Erniedrigendes. Stattdessen ist es der Moment, in dem Jesus emporgehoben und verherrlicht wird. Johannes verwendet den Begriff „emporgehoben“ sowohl wörtlich als auch sinnbildlich. Einerseits bedeutet es, am Kreuz physisch emporgehoben zu werden, aber es kann auch die Bedeutung haben von erhöht und geehrt werden.

 

In Kapitel 17 lesen wir:

Dies sprach Jesus. Und er erhob seine Augen zum Himmel und sagte: Vater, die Stunde ist gekommen. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht! Denn du hast ihm Macht über alle Menschen gegeben, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben schenkt. Das aber ist das ewige Leben: dass sie dich, den einzigen wahren Gott, erkennen und den du gesandt hast, Jesus Christus. Ich habe dich auf der Erde verherrlicht und das Werk zu Ende geführt, das du mir aufgetragen hast. Jetzt verherrliche du mich, Vater, bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war! (Joh 17, 1-5)

Jesus verherrlicht den Vater, indem er seinen Willen tut. Das Johannes-Evangeliumsberichtet davon, dass Jesus in die Welt gekommen ist, um uns zu retten. Nachdem dies vollbracht ist, kehrt er durch seinen Tod am Kreuz zum Vater zurück. Im Gegenzug verherrlicht der Vater den Sohn, nicht nur in seiner Göttlichkeit, sondern auch in seiner Menschlichkeit.

Durch dieses einzigartige Verständnis der Passion Jesu unterscheidet sich der Bericht des Johannes von denen der Synoptiker. Alle vier Evangelien berichten von den gleichen Ereignissen – dem Letzten Abendmahl, dem Verrat des Judas in Getsemani, dem Prozess, der Kreuzigung und dem Tod – aber Johannes betont andere Details. Die synoptischen Evangelien konzentrieren sich in ihrer Beschreibung der Passion Jesu auf das menschliche Leiden und die Erniedrigung Jesu. Johannes hingegen betont seine Erhöhung. Er möchte zeigen, dass Jesus trotz seines unermesslichen Leidens die Kontrolle über die Situation und sein eigenes Schicksal behält.

Das Letzte Abendmahl

Die Einsetzung der Eucharistie bildet das wichtigste Element in den synoptischen Berichten über das Letzte Abendmahl. Johannes aber lässt diesen Teil ganz weg. Er beginnt stattdessen mit der Fußwaschung Jesu.

 

Es war vor dem Paschafest. Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen. Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung. (13, 1)

 

Eine Erklärung zur Stunde Jesu finden Sie in der vorherigen Lektion.

Der Verrat des Judas

 

Der Leser weiß bereits, dass Judas derjenige ist, der Jesus verraten wird, weil Johannes dies schon vorher angedeutet hatte.

Jesus erwiderte: Habe ich nicht euch, die Zwölf, erwählt? Und doch ist einer von euch ein Teufel. Er sprach von Judas, dem Sohn des Simon Iskariot; denn dieser sollte ihn ausliefern: einer der Zwölf. (6, 70-71)

 

Doch einer von seinen Jüngern, Judas Iskariot, der ihn später auslieferte, sagte: Warum hat man dieses Öl nicht für dreihundert Denare verkauft und den Erlös den Armen gegeben? (12, 4-5)

Durch die Berichte der Synoptiker wissen wir auch, dass Judas mit den religiösen Behörden ein Komplott gegen Jesus schmiedete. Sie versprachen ihm dafür dreißig Silberstücke (vgl. Mt 26, 14-16; Mk 14, 10-11; Lk 22, 3-6). Johannes dagegen erwähnt dies nicht. Alles, was wir seinem Evangelium entnehmen können, ist, dass die Autoritäten bereits beschlossen hatten, Jesus zu töten (vgl. Joh 11, 45-57).

 

Doch Johannes macht deutlich, dass Jesus genau wusste, was seine Gegner vorhatten. Während des Letzten Abendmahls sagt er diesen Verrat voraus:

Nach diesen Worten wurde Jesus im Geiste erschüttert und bezeugte: Amen, amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich ausliefern. Die Jünger blickten sich ratlos an, weil sie nicht wussten, wen er meinte. Einer von den Jüngern lag an der Seite Jesu; es war der, den Jesus liebte. Simon Petrus nickte ihm zu, er solle fragen, von wem Jesus spreche. Da lehnte sich dieser zurück an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist es? Jesus antwortete: Der ist es, dem ich den Bissen Brot, den ich eintauche, geben werde. Dann tauchte er das Brot ein, nahm es und gab es Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. (13, 21-26)

 

Trotz allem, was Judas tun wird, zögert Jesus nicht, ihm seine Liebe zu zeigen. Er lässt Judas nahe genug bei sich sitzen, damit er ihn erreichen kann. Im Judentum des ersten Jahrhunderts war es ein Zeichen der Ehre, in der Nähe des Meisters zu sitzen. Darüber hinaus reichten die Gastgeber ihren Gästen als Zeichen der besonderen Gunst das Essen. Auf diese Weise kommuniziert Jesus mit Judas und macht dadurch deutlich, dass er ihn trotz des bevorstehenden Verrats immer noch liebt.

 

 

Der wahre Gegner Jesu

 

Bis hierhin will uns das Evangelium glauben machen, dass die jüdischen Autoritäten die Gegner Jesu waren. Aber jetzt, in Kapitel 13, taucht zum ersten Mal Satan in der Geschichte auf. Johannes berichtet, dass er Judas dazu gebracht hatte, Jesus zu verraten.

Es fand ein Mahl statt und der Teufel hatte Judas, dem Sohn des Simon Iskariot, schon ins Herz gegeben, ihn auszuliefern. (13, 2)

Und nachdem Judas das Brot von Jesus genommen hat, fuhr Satan in ihn.

Als Judas den Bissen Brot genommen hatte, fuhr der Satan in ihn. (13, 27)

Satan ist also der wahre Übeltäter der Geschichte. Es ist interessant, dass Johannes keine der Dämonenaustreibungen erwähnt, von denen in den anderen Evangelien berichtet wird. Für ihn bestand Satans Hauptaufgabe darin, der Anstifter zu sein. Hinter den Kulissen arbeitend brachte er andere dazu, Jesus zu verraten und zu töten. Er konnte dies bewirken, weil sie in Wirklichkeit schon seinem Machtbereich unterstanden. Sie waren seine Marionetten. Über Judas hatte Johannes bereits geschrieben:

Jesus erwiderte: Habe ich nicht euch, die Zwölf, erwählt? Und doch ist einer von euch ein Teufel. Er sprach von Judas, dem Sohn des Simon Iskariot; denn dieser sollte ihn ausliefern: einer der Zwölf. (6, 70-71)

Und zu denjenigen, die ihn töten wollten, sagt Jesus:

Warum versteht ihr nicht, was ich sage? Weil ihr nicht imstande seid, mein Wort zu hören. Ihr habt den Teufel zum Vater und ihr wollt das tun, wonach es euren Vater verlangt. Er war ein Mörder von Anfang an. Und er steht nicht in der Wahrheit; denn es ist keine Wahrheit in ihm. Wenn er lügt, sagt er das, was aus ihm selbst kommt; denn er ist ein Lügner und ist der Vater der Lüge. (8, 43-44)

Satan war von Anfang an ein Mörder. Dies erklärt, warum diejenigen, die zu ihm gehören, dasselbe tun. Sie ahmen ihren Vater nach. Sie sind der Meinung, sie hätten die Oberhand, aber Johannes macht deutlich, dass Jesus die Kontrolle über sein Schicksal behält.

Als Judas den Bissen Brot genommen hatte, fuhr der Satan in ihn. Jesus sagte zu ihm: Was du tun willst, das tue bald! (13, 27)

Die anderen Apostel haben keine Ahnung, was vor sich geht. Da Judas die Kasse für die Gruppe verwaltete, dachten einige, Jesus hätte ihm aufgetragen, etwas für das bevorstehende Fest zu kaufen oder den Armen etwas zu geben.

Als Judas den Bissen Brot genommen hatte, ging er sofort hinaus. Es war aber Nacht. (13, 30)

Dass Johannes erwähnt, dass es Nacht war, ist sicherlich nicht nur als Information gedacht, sondern hat auch eine tiefere Bedeutung. Im Prolog lasen wir, dass Jesus das Licht der Welt ist:

Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst. (1, 5)

 

Abschiedsrede Jesu

Ein weiterer Unterschied zwischen dem Johannes-Evangelium und den synoptischen Evangelien besteht darin, dass Johannes fünf Kapitel den Reden und dem Gebet Jesu während des Letzten Abendmahls widmet. Diese beinhalten wichtige Lehren über die Jüngerschaft, den Heiligen Geist, das neue Gesetz, die Sakramente usw. Wir werden diese Lehren in späteren Lektionen betrachten. Jetzt interessiert uns, wie Jesus die Realitäten des Alten Testaments erneuert. So gibt er seinen Jüngern ein neues Gebot:

Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. (13 ,34)

 

Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe. (15, 12)

Er identifiziert sich mit dem wahren Weinstock des Neuen Israel. Das Alte Testament bezeichnete Israel häufig als Gottes auserwählten Weinstock oder Weinberg. Doch trotz Gottes liebevoller Fürsorge brachte er nur bittere Früchte hervor.

Ich will singen von meinem Freund, / das Lied meines Liebsten von seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg / auf einer fruchtbaren Höhe. Er grub ihn um und entfernte die Steine / und bepflanzte ihn mit edlen Reben. Er baute in seiner Mitte einen Turm / und hieb zudem eine Kelter in ihm aus. Dann hoffte er, / dass der Weinberg Trauben brächte, / doch er brachte nur faule Beeren. (Jes 5, 1-2)

 

Israel war ein üppiger Weinstock, / der seine Frucht brachte. Je fruchtbarer er war, / desto zahlreicher machte man die Altäre. Je schöner sein Land wurde, / umso schöner schmückten sie die Steinmale. Ihr Herz ist geteilt, / jetzt müssen sie büßen: Er selbst wird ihre Altäre zerbrechen, / ihre Steinmale verwüsten. (Hos 10, 1-2)

 

Nun werden diejenigen, die mit Jesus vereint bleiben, die Frucht hervorbringen, die Gott sich wünscht.

Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer. … Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen. (15, 1-5)

Im Garten Getsemani

Wir sehen erneut, wie sich der Bericht des Johannes radikal von dem der Synoptiker unterscheidet. Letztere betonen die Todesangst Jesu:

Und er nahm Petrus, Jakobus und Johannes mit sich. Da ergriff ihn Furcht und Angst 34 und er sagte zu ihnen: Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht! (Mk 14, 33-34)

Und er betete in seiner Angst noch inständiger und sein Schweiß war wie Blut, das auf die Erde tropfte. (Lk 22, 44)

Johannes unterlässt jede Erwähnung des Leidens. Er übergeht sogar den Kuss des Judas und beginnt direkt mit dem Moment der Verhaftung Jesu.

 

Nach diesen Worten ging Jesus mit seinen Jüngern hinaus, auf die andere Seite des Baches Kidron. Dort war ein Garten; in den ging er mit seinen Jüngern hinein. Auch Judas, der ihn auslieferte, kannte den Ort, weil Jesus dort oft mit seinen Jüngern zusammengekommen war. Judas holte die Soldaten und die Gerichtsdiener der Hohepriester und der Pharisäer und kam dorthin mit Fackeln, Laternen und Waffen. Jesus, der alles wusste, was mit ihm geschehen sollte, ging hinaus und fragte sie: Wen sucht ihr? Sie antworteten ihm: Jesus von Nazaret. Er sagte zu ihnen: Ich bin es. Auch Judas, der ihn auslieferte, stand bei ihnen. Als er zu ihnen sagte: Ich bin es!, wichen sie zurück und stürzten zu Boden. Er fragte sie noch einmal: Wen sucht ihr? Sie sagten: Jesus von Nazaret. Jesus antwortete: Ich habe euch gesagt, dass ich es bin. Wenn ihr also mich sucht, dann lasst diese gehen! (18, 1-8)

Selbst als Jesus verhaftet wird, behält er die volle Kontrolle über die Situation. Hätte er sich nicht freiwillig ergeben, so hätten sie ihn nie verhaften können. Aber Jesus ließ sich von ihnen festnehmen, weil er wusste, dass es der Wille seines Vaters war.

Der Kelch, den mir der Vater gegeben hat – soll ich ihn nicht trinken? (18, 11)


Der Schutz der Apostel ist ihm wichtiger als sein eigenes Wohlergehen. P. Raymond Brown beschreibt diese Szene meisterhaft:

Johannes beginnt damit, wie Judas die Vollzugsbeamten zu diesem Ort führt. Die Gruppe wird zwar von den jüdischen Behörden entsandt, aber im Johannesevangelium ist nur von römischen Truppen die Rede ... Bei diesem Versuch der Finsternis, das Licht der Welt auszulöschen, brauchen die Diener der Finsternis Lampen. Unter Auslassung von Judas' Kuss lässt Johannes Jesus die Initiative ergreifen: In jeder Situation ist er Herr über sein Schicksal. Als er den göttlichen Namen ausspricht: „Ich bin (es)“, sind die Mächte der Finsternis hilflos, von Angst befallen wie Mose am Sinai. Immer bedacht auf die, die der Vater ihm gegeben hat, bietet Jesus seine Macht auf, um seine Jünger zu beschützen. Die Geschichte vom Ohr des Dieners wird detaillierter erzählt als bei den Synoptikern, denn nur Johannes nennt die Namen der beteiligten Personen: Petrus und Malchus. Das Wort über den Kelch ist ein weiteres Detail aus der fehlenden Leidensszene. [1]

Jesus vor dem Hohepriester

In allen vier Evangelien wird Jesus vor den Hohepriester und den Sanhedrin geführt. Aber der Bericht des Johannes unterscheidet sich wiederum deutlich von dem der anderen. Die Synoptiker berichten über den Prozess selbst – das heißt über das falsche Zeugnis gegen Jesus, über die Frage des Hohepriesters nach der Identität Jesu und über seine Verurteilung (vgl. Mt 26, 57-68). Sie beschreiben auch, wie Jesu verspottet wird:

Die Männer, die Jesus bewachten, trieben ihren Spott mit ihm. Sie schlugen ihn, verhüllten ihm das Gesicht und fragten ihn: Du bist doch ein Prophet, sag uns: Wer hat dich geschlagen? Und noch viele andere Lästerungen stießen sie gegen ihn aus. (Lk 22, 63-65)

Johannes hingegen lässt all dies aus. Stattdessen erzählt er uns, wie der Hohepriester ihn zu seinen Jüngern und seiner Lehre befragte.

 

Der Hohepriester befragte Jesus über seine Jünger und über seine Lehre. Jesus antwortete ihm: Ich habe offen vor aller Welt gesprochen. Ich habe immer in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen. Nichts habe ich im Geheimen gesprochen. Warum fragst du mich? Frag doch die, die gehört haben, was ich zu ihnen gesagt habe; siehe, sie wissen, was ich geredet habe.  Als er dies sagte, schlug einer von den Dienern, der dabeistand, Jesus ins Gesicht und sagte: Antwortest du so dem Hohepriester? Jesus entgegnete ihm: Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn es aber recht war, warum schlägst du mich? Da schickte ihn Hannas gefesselt zum Hohepriester Kajaphas. (18, 19-24)

Für Johannes ist Jesus eindeutig im Recht. Er verteidigt nicht nur seine Jünger, sondern scheint sogar derjenige zu sein, der das Urteil fällt.

Jesus vor Pilatus

Etwas Ähnliches geschieht bei der Begegnung Jesu mit Pilatus. Bei den Synoptikern fragt Pilatus ihn, ob er der König der Juden sei. Jesus antwortet mit einem kryptischen: „Du sagst es.“ Pilatus, der weiß, dass Jesus unschuldig ist, versucht, ihn frei zu bekommen, indem er die Menge zwischen Jesus und Barabbas wählen lässt. Aber als die Menschen Barabbas wählen, gibt Pilatus ihren Forderungen nach und lässt Jesus kreuzigen.

 

Im Bericht des Johannes geschieht das Gegenteil. Anstatt dass Pilatus über Jesus richtet, drängt ihn dieser immer wieder in die Defensive.

Da ging Pilatus wieder in das Prätorium hinein, ließ Jesus rufen und fragte ihn: Bist du der König der Juden? Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus oder haben es dir andere über mich gesagt? Pilatus entgegnete: Bin ich denn ein Jude? Dein Volk und die Hohepriester haben dich an mich ausgeliefert. Was hast du getan? Jesus antwortete: Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn mein Königtum von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Nun aber ist mein Königtum nicht von hier. Da sagte Pilatus zu ihm: Also bist du doch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme. Pilatus sagte zu ihm: Was ist Wahrheit? (18, 33-38)

 

Jesus antwortete ihm: Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben gegeben wäre. (19, 11)

Obwohl er weiß, dass Jesus unschuldig ist, ist Pilatus zu feige, um sich dem Volk zu widersetzen. Also gibt er am Ende nach und verurteilt Jesus zu Unrecht.

Die Kreuzigung

Schließlich sehen wir im Evangelium nach Johannes, dass Jesus auch während seiner Kreuzigung und seines Sterbens die Kontrolle über die Situation behält. Johannes übergeht die menschliche Schwäche Jesu. Zum Beispiel lässt er aus, dass Jesus jemanden braucht, der ihm beim Tragen des Kreuzes hilft. Er berichtet auch nicht, dass Jesus rief: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, wie Matthäus (27, 46) und Markus (15, 34) es tun.

Im Gegenteil, bei Johannes scheint alles nach einem vorher festgelegten Plan abzulaufen. Das trifft sogar auf das Sterben Jesu zu. Seine letzten Worte sind: „Es ist vollbracht!“ (19, 30), und danach „neigte [er] das Haupt und übergab den Geist“. Nicht sie töteten Jesus, sondern er entschied sich zu sterben.

Aufgaben

  • Erklären Sie, wie Johannes das Leiden und Sterben Jesu als den Moment seiner Verherrlichung darstellt!

  • Erklären Sie, wer der wahre Gegner Jesu ist und wie er vorgeht!

  • Beschreiben Sie, wie Jesus trotz seines unermesslichen Leidens in jedem Augenblick seiner Passion (Letztes Abendmahl, Garten Getsemani, Prozess, Kreuzigung) die Kontrolle über die Situation und sein eigenes Schicksal behält!

  • Beschreiben Sie die Realitäten des Alten Testaments, die Jesus während seines Leidens erneuert hat!

Fußnoten

[1] Raymond Brown, The Gospel and Epistles of John, The Liturgical Press, Minnesota, 1988, S. 87-88.

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