Lektion 2
Die Bibel als Wort Gottes
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(Bildausschnitt: Nick Thompson auf pxfuel)
Übersichtā
Inwiefern können wir nun sagen, dass Gott der Autor der Bibel ist? Wie spricht er zu uns durch die von Menschen niedergeschriebenen Worte? Drei wichtige theologische Konzepte beantworten diese Frage: Inspiration, biblische Wahrheit und Auslegung. Mit ‚Inspiration‘ bezeichnen wir den Prozess, durch den Gott die biblischen Verfasser dazu bewegt hat, das niederzuschreiben, was er den Menschen mitteilen wollte. Diese göttliche Inspiration ist die Garantie für die Wahrheit dessen, was die Autoren durch ihre Schriften bezeugt haben. Um jedoch ihre Aussageabsicht zu erkennen, müssen wir wissen, wie ihre Texte richtig auszulegen sind. Dazu hat uns die Kirche verschiedene wichtige Kriterien an die Hand gegeben.
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Lernziele
Sie werden diese Lerneinheit erfolgreich abgeschlossen haben, wenn Sie
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mit Ihren eigenen Worten die Bedeutung der folgenden theologischen Begriffe erklären können: Inspiration, biblische Wahrheit und Auslegung.
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Einführung
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In der vorigen Lektion haben wir gesehen, dass die menschlichen Verfasser wirklich die Autoren der biblischen Texte sind. Sie schrieben ihre Bücher und Briefe wie andere Autoren auch. Deshalb dürfen wir ihre Schriften genauso wie andere schriftliche Texte analysieren. Dabei wenden Exegeten ein Handwerkszeug an, das in der Literaturwissenschaft und Exegese entwickelt wurde. Mittels dieses Instrumentariums können wir zum Beispiel die literarische Gattung eines biblischen Buches bestimmen, sowie weitere literarische Stilmittel erkennen: Handlungsablauf, Figuren, Schauplatz und Struktur. Dieses Wissen hilft uns zu verstehen, was die Autoren bezeugen wollten. Das ist von Bedeutung, „da ... all das, was die inspirierten Verfasser oder Hagiographen aussagen, als vom Heiligen Geist ausgesagt gelten muß“ (KKK 107).
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In dieser Lerneinheit wollen wir die Bibel als das Wort Gottes betrachten. Inwiefern können wir sagen, dass Gott der Autor der Bibel ist? Wie spricht er zu uns durch die von Menschen niedergeschriebenen Worte? Drei wichtige Grundgedanken beantworten diese Frage: Inspiration, biblische Wahrheit und Auslegung. Mit ‚Inspiration‘ bezeichnen wir den Prozess, durch den Gott die biblischen Verfasser dazu bewegt hat, das niederzuschreiben, was er den Menschen mitteilen wollte. Diese göttliche Inspiration ist die Garantie für die Wahrheit dessen, was die Autoren sagen wollten. Um jedoch ihre Aussageabsicht zu erkennen, müssen wir wissen, wie die Texte richtig auszulegen sind. Dazu hat uns die Kirche verschiedene wichtige Kriterien an die Hand gegeben. Mit diesen Kriterien werden wir uns in dieser Lektion befassen.
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Inspiration
Wir sagen, dass die Bibel Menschenwort ist, weil sie von menschlichen Autoren – wie David, Lukas oder Paulus – geschrieben wurde. Doch ist sie mehr als nur ein von Menschen geschriebenes Buch, und die Wahrheit, die sie lehrt, ist mehr als menschliche Wahrheit. Die Bibel ist auch Wort Gottes. Denn während die menschlichen Autoren schrieben, wirkte Gott aktiv in ihnen. Er brachte sie dazu, das aufzuschreiben, was er mitteilen wollte. Auf welche Weise tat er das? Papst Leo XIII. erklärt dazu in seiner Bibelenzyklika ,Providentissimus Deus':
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Denn er [der Heilige Geist] selbst hat sie durch eine übernatürliche Kraft so zum Schreiben angeregt und bestimmt, und den Verfassern also Beistand geleistet, dass sie all das und nur das, was er sie hieß, richtig im Geiste erfassten, getreulich niederschreiben wollten und passend mit unfehlbarer Wahrheit ausdrückten; sonst wäre der Heilige Geist nicht selbst Urheber der gesamten Heiligen Schrift. (Providentissimus Deus 20)
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Kehren wir zurück zum Beispiel des Lukas, das wir in der vorigen Lektion betrachtet haben! Wie Sie sich erinnern, beginnt Lukas sein Evangelium mit der Aussage, dass schon viele es unternommen hätten, einen Bericht über die Geschehnisse zu verfassen, die sich ereignet hatten. Nun habe auch er sich entschlossen, alles der Reihe nach aufzuschreiben. Während er überlegte, was er wie schreiben sollte, wirkte der Heilige Geist in ihm und gab ihm ein, etwas auf eine bestimmte Art und Weise zu verstehen und entsprechend aufzuschreiben – über das, was Gott uns offenbaren wollte. Insofern ist Gott ebenfalls der Verfasser dieses Evangeliums. Er ist in Wahrheit sogar der eigentliche Autor.
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Biblische Wahrheit
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Wir müssen allerdings nicht alles, was in der Bibel steht, wortwörtlich nehmen, nur weil Gott der eigentliche Autor ist. Der Schöpfungsbericht ist hierfür ein gutes Beispiel. Wurde die Welt wirklich in sechs Tagen erschaffen? Um die Wahrheit herauszufinden, müssen wir die Aussageabsicht des Autors erfassen. Das heißt, wir müssen untersuchen, ob der Verfasser uns wirklich eine naturwissenschaftliche Beschreibung und einen chronologischen Ablauf des Schöpfungsprozesses geben wollte.
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Denken Sie daran, dass es die Aufgabe der Bibelexegeten ist, die Intention der menschlichen Verfasser zu ergründen. Wollten sie ein historisches Ereignis beschreiben? Wollten sie etwas mittels eines Bild erklären? Wollten sie Empfindungen in einem Gedicht ausdrücken? Darum untersuchen die Exegeten die literarischen Gattungen der Bibeltexte. Wir sahen in den „BibleProject“- Videos, dass nur 24 % der Bibel in Prosa geschrieben wurden, während 43 % Erzählungen und die restlichen 33 % Poesie sind. Der Katechismus lehrt:
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In der Heiligen Schrift spricht Gott zum Menschen nach Menschenweise. Um die Schrift gut auszulegen, ist somit auf das zu achten, was die menschlichen Verfasser wirklich sagen wollten und was Gott durch ihre Worte uns offenbaren wollte. (KKK 109)
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Um die Aussageabsicht der Schriftautoren zu erfassen, sind die Verhältnisse ihrer Zeit und ihrer Kultur, die zu der betreffenden Zeit üblichen literarischen Gattungen und die damals geläufigen Denk-, Sprech- und Erzählformen zu berücksichtigen. „Denn die Wahrheit wird in Texten, die auf verschiedene Weise geschichtlich, prophetisch oder poetisch sind, oder in anderen Redegattungen jeweils anders dargelegt und ausgedrückt.“ (KKK 110)
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Wenn ich zum Beispiel sage: „Ich habe Schmetterlinge im Bauch, wenn ich sie sehe“, will ich damit etwa behaupten, in meinem Bauch flögen Schmetterlinge herum? Natürlich nicht! Das körperliche Empfinden, Schmetterlinge im Bauch zu haben, wenn wir verliebt sind, kommt von der verlangsamten Fließgeschwindigkeit des Blutes, verursacht durch die körpereigene Produktion von Substanzen wie Dopamin. Das poetische Bild des Schmetterlings in meinem Bauch beschreibt also die Wirkung eines biologischen Prozesses und ist keine naturwissenschaftliche Erklärung.
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Wenn wir nun biblische Texte betrachten, müssen wir die Aussageabsicht der Verfasser hinter den von ihnen gewählten Wörtern zu begreifen suchen. Da die Verfasser von Gott inspiriert wurden, müssen all ihre Aussageabsichten wahr sein. Über die biblische Wahrheit sagt der Katechismus:
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Die inspirierten Bücher lehren die Wahrheit. „Da also all das, was die inspirierten Verfasser oder Hagiographen aussagen, als vom Heiligen Geist ausgesagt gelten muss, ist von den Büchern der Schrift zu bekennen, dass sie sicher, getreu und ohne Irrtum die Wahrheit lehren, die Gott um unseres Heiles willen in heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte." (KKK 107)
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Das heißt, alles, was die menschlichen Autoren bezeugen wollten, ist wahr. Da der Heilige Geist der Autor der Bücher des Alten und des Neuen Testamentes ist – ganz und vollständig, mit all ihren Teilen – und da der Heilige Geist nicht täuschen und nicht getäuscht werden kann, unterliegt die Bibel keinem Irrtum. Die Theologen nennen das die ‚Irrtumslosigkeit' der Heiligen Schrift.
Wie sollen wir dann aber Texte wie den Schöpfungsbericht in Genesis 1 verstehen? Ein bekanntes Sprichwort sagt: „Die Bibel lehrt uns, wie man in den Himmel geht [kommt], nicht wie der Himmel geht [funktioniert].“ Die Bibel lehrt uns Wahrheiten, die für unser Heil notwendig sind. Das müssen wir richtig verstehen. Die Irrtumslosigkeit der Bibel bedeutet nicht, dass nur die Teile der Bibel wahr sind, die von unserer Erlösung sprechen. Die Bibel als Ganze ist wahr, denn was immer der menschliche Autor zu bezeugen beabsichtigte, wird auch von seinem göttlichen Urheber bezeugt.
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Darum erforschen die Exegeten die Bibel. Sie versuchen herauszufinden, was der jeweilige menschliche Autor sagen wollte. Was war die Aussageabsicht des Autors, wenn er die Schöpfung als einen sechstägigen Prozess darstellte? Wollte er uns Schritt für Schritt erklären, wie die Schöpfung ablief? Die meisten Exegeten verneinen das. Warum? Weil der Schöpfungsbericht in Form einer Dichtung geschrieben wurde. Diese literarische Gattung dient normalerweise nicht dazu, eine objektive Wahrheit zu kommunizieren. Deshalb sollten wir Kapitel 1 der Genesis nicht wortwörtlich verstehen, ebensowenig wie wir den Ausdruck ‚Schmetterlinge in meinem Bauch' nicht wortwörtlich nehmen sollten. Der Autor hatte nicht die Absicht, eine wissenschaftliche Erklärung über die Erschaffung der Welt vorzulegen. Stattdessen wollte er uns eine tiefere Wahrheit lehren; eine Wahrheit, die für unser Heil wichtig ist, wie:
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Es gibt nichts, was nicht dem Schöpfer sein Dasein verdankt. (vgl. KKK 338)
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Jedes Geschöpf besitzt seine eigene Güte und Vollkommenheit. (vgl. KKK 339)
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Der Mensch ist der Gipfel des Schöpfungswerkes. (vgl. KKK 343)ā
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Auslegung
Die Kirche gibt uns Kriterien an die Hand, die uns helfen, die Bibel richtig auszulegen. Die Bischöfe und Theologen, die am Zweiten Vatikanischen Konzil teilnahmen, diskutierten dieses Thema ausgiebig. Sie verfassten ein wichtiges Dokument über die Bibel namens Dei Verbum. Was ich bisher über die Bibel gesagt habe, stammt aus diesem Dokument, und auch der Katechismus zitiert häufig daraus. Über die Auslegung der Bibel heißt es dort:
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Da aber die Heilige Schrift inspiriert ist, gibt es noch ein weiteres, nicht weniger wichtiges Prinzip zur richtigen Auslegung, ohne das die Schrift toter Buchstabe bliebe: „Die Heilige Schrift ist in demselben Geist, in dem sie geschrieben wurde, auch zu lesen und auszulegen." (KKK 111)
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Das heißt, dass wir die Heilige Schrift in demselben Geist lesen sollten, der auch die menschlichen Verfasser zu ihrer Niederschrift inspirierte. Dazu leitet uns der Katechismus mit Hilfe von drei Kriterien an, die der Konstitution Dei Verbum des Zweiten Vatikanischen Konzils entnommen sind:
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„Sorgfältig ‚auf den Inhalt und die Einheit der ganzen Schrift‘ achten. Wie unterschiedlich auch die Bücher sind, aus denen sie sich zusammensetzt, bildet die Schrift doch eine Einheit aufgrund der Einheit des Planes Gottes, dessen Zentrum und Herz Jesus Christus ist“ (KKK 112). Obwohl sich die Bibel aus 73 Schriften zusammensetzt, ist sie doch ein einheitliches Buch. Deshalb müssen wir darauf achten, dass unsere Auslegung nicht im Widerspruch zu anderen Teilen der Bibel steht.
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„Die Schrift ‚in der lebendigen Überlieferung der Gesamtkirche‘ lesen“ (KKK 113). Das geschieht besonders auf zwei Arten. (a) Wir achten darauf, wie Christen schon immer die Bibel ausgelegt haben – vor allem die Kirchenväter. Für gewöhnlich ist es problematisch, wenn jemand mit einer radikal neuen Deutung auftritt, die mit der bisherigen Überlieferung bricht. (b) Wir achten auch darauf, wie die gesamte Kirche (d.h. alle Katholiken aller Zeiten) den Glauben lebt. Dabei müssen wir besonders auf die Gebete der Gläubigen achten, denn die Art, wie wir beten, ist ein lebendiger Ausdruck unseres Glaubens.
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„Auf die ‚Analogie des Glaubens‘ achten“ (KKK 114). ‚Analogie des Glaubens' ist ein theologischer Begriff, der besagt, dass alle Wahrheiten, an die wir glauben, in einer logischen Beziehung zueinander stehen. Dieser Grundsatz ähnelt dem ersten, wird aber in diesem Fall auf die Wahrheiten unseres Glaubens angewandt. So wie die Bibel ein von Gott geschriebenes Buch ist und daher kein Teil den anderen Teilen widersprechen kann, so bildet auch unser katholischer Glaube eine Einheit. Wenn wir einen Text so auslegen, dass er anderen Texten, die wir gläubig angenommen haben, widerspricht, dann können wir sicher sein, dass wir ihn nicht richtig verstanden haben.ā
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Wir können diese drei Kriterien mit einem Wort zusammenfassen: Kontinuität. Jede Interpretation des biblischen Textes sollte in Kontinuität mit der Botschaft der Bibel als Ganzes stehen. Es handelt sich schließlich um ein einziges Buch. Die Auslegung sollte auch in Kontinuität mit der lebendigen Tradition der Kirche und dem ganzen Gut unseres katholischen Glaubens stehen. Wenn jemand mit einer aufregenden neuen Interpretation eines biblischen Textes aufwartet, die einem dieser drei Prinzipien widerspricht, dann können wir sicher sein, dass diese Auslegung nicht in demselben Geist vorgenommen wurde, in der der Text geschrieben wurde.
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Zusammenfassung
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In dieser Lerneinheit über die Bibel als Wort Gottes haben wir drei wichtige Grundgedanken der biblischen Theologie kennengelernt, mittels derer wir verstehen können, was Gott uns durch das von Menschen geschriebene Wort sagen will. Die Grundgedanken lauten:
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Inspiration – Dies ist der Prozess, durch den der Heilige Geist die Autoren dazu brachte, das zu schreiben, was sie tatsächlich geschrieben haben. Zunächst half er ihnen, die Ereignisse, die niedergeschrieben werden sollten, richtig zu verstehen; dann brachte er sie dazu, das Schreiben in die Tat umzusetzen, und schließlich half er ihnen dabei, die richtigen Worte zu finden.
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Biblische Wahrheit – Das bedeutet, dass alles wahr ist, was die inspirierten Autoren aussagen wollten. Denn was immer sie schrieben, sollte als vom Heiligen Geist bestätigt verstanden werden. Und da der Heilige Geist Gott selber ist, kann er weder täuschen noch getäuscht werden, also muss alles, was er mitteilt, wahr sein.ā
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Auslegung – Die Heilige Schrift muss in demselben Geist gelesen und ausgelegt werden, in dem sie geschrieben wurde. Drei Möglichkeiten, dies sicherzustellen, sind:ā
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besonders aufmerksam auf den Inhalt und die Einheit der ganzen Schrift zu achten,
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die Schrift in der lebendigen Tradition der ganzen Kirche zu lesen,
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auf die Übereinstimmung des Glaubensgutes zu achten.
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Ehe Sie zur nächsten Lektion übergehen, vergewissern Sie sich, dass Sie diese drei Konzepte verstanden haben und mit Ihren eigenen Worten erklären können.
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Aufgaben
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Lesen Sie Dei Verbum Kapitel 3.
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Lesen Sie die Nummer 105 bis 114 des Katechismus der Katholischen Kirche.
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Erklären Sie mit Ihren eigenen Worten die folgenden theologischen Konzepte:
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Inspiration der Bibel
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Wahrheit der Bibel
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Auslegung der Bibel
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