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Die Reden Jesu

Die Gleichnisse

Painting of the parable of the sower

Übersicht

​​

In dieser Lerneinheit werden wir uns mit den Gleichnissen Jesu beschäftigen. Mit den Gleichnisreden greift Jesus eine typisch jüdische Lehrmethode auf, die ihre Wurzeln im Alten Testament hat. Im alten Israel wurden Gleichnisse nicht nur benutzt, um einfachen Menschen tiefe spirituelle Wahrheiten nahezubringen, indem man vertraute Bilder aus dem täglichen Leben verwendete. Im Gegenteil – mit ihnen wollte man auf die bösen Taten der herrschenden Oberschicht reagieren. Gleichnisse stellen das Herz der Zuhörer auf die Probe und können nur von demütigen Menschen wie David verstanden werden: Menschen, die ernsthaft nach der Wahrheit suchen. Arrogante Menschen bemühen sich erst gar nicht, sie zu verstehen, sondern verhärten stattdessen ihre Herzen nur noch mehr.

Jesus bringt in seinen Gleichnissen oft überraschende Wendungen, wodurch das Verständnis noch erschwert wird. Dadurch ziehen uns seine Gleichnisse nicht nur in das Geheimnis seines Königreichs hinein – indem sie einen Aspekt davon offenbaren – sondern gleichzeitig verbergen sie diese Realität auch durch ihre unerwarteten Wendungen.

Jesus sprach oft von sich selbst, wenn er in Gleichnissen lehrte. Zum Beispiel ist er der Sämann, der gekommen ist, um das Wort Gottes in jedes Herz zu säen. Einige werden ihn annehmen, aber viele werden ihn ablehnen. Dennoch können wir mit Sicherheit davon ausgehen, dass sein Wort eine große Ernte hervorbringen und Gottes Reich kommen wird.

Lernziele

​​Sie werden diese Lerneinheit erfolgreich abgeschlossen haben, wenn Sie

  • erklären können, warum Jesus in Gleichnissen lehrte;

  • ​ den Zweck der Wendungen in vielen Gleichnissen Jesu erklären können;

  •  die Bedeutung der Gleichnisse in Kapitel 4 erklären können.

Lehren durch Gleichnisse

​Markus schreibt: Jesus „lehrte sie [die Menschen] in Gleichnissen" (vgl. Mk 4, 2), und „durch viele solche Gleichnisse verkündete er ihnen das Wort, so wie sie es aufnehmen konnten“ (Mk 4, 33). Diese beiden Stellen bilden die Klammer für einen Einschub, in dem Markus viele Gleichnisse Jesu zusammenstellt. Dadurch entsteht der Eindruck, als habe Jesus diese Gleichnisse bei nur einer Gelegenheit erzählt, aber das war wahrscheinlich nicht der Fall, da Markus gleichzeitig betont, dass dies Jesu übliche Art zu lehren war: „Er redete nur in Gleichnissen zu ihnen“ (Mk 4, 34).

Warum tat Jesus das? Es wird oft gesagt, dass er in Gleichnissen lehrte, um einfachen Menschen tiefe spirituelle Wahrheiten nahezubringen, indem er vertraute Bilder aus dem täglichen Leben verwendete. Da viele Menschen im alten Israel von der Kultivierung des Landes lebten, beschrieb er das Reich Gottes mit Begriffen wie Säen, Pflanzen und Ernten. Andere Zuhörer waren Fischer, also lehrte er sie, dass „es mit dem Himmelreich wie mit einem Netz [ist], das ins Meer ausgeworfen wurde und in dem sich Fische aller Art fingen“ (Mt 13, 47).

Daran ist sicherlich etwas Wahres, gleichzeitig verschleiert es eine komplexere Realität. Erstens war das Lehren in Gleichnissen nicht nur für Jesus typisch. Es war im alten Israel sehr gebräuchlich, wie wir im Alten Testament sehen. Das erste Gleichnis in der Bibel handelt vom Dornenstrauch-König und findet sich im Buch der Richter. Jotam, der jüngste Sohn des Gideon, richtete es an seinen Bruder Abimelech, der alle anderen 70 Brüder töten ließ, um selber König zu werden. Jotams Antwort auf dieses Verbrechen lautete:

Als man das Jotam meldete, stellte er sich auf den Gipfel des Berges Garizim und rief ihnen mit erhobener Stimme zu: Hört auf mich, ihr Bürger von Sichem, / damit Gott auf euch hört! Einst gingen die Bäume hin, / um sich einen König zu salben, / und sie sagten zum Ölbaum: / Sei du unser König! Der Ölbaum sagte zu ihnen: / Habe ich etwa schon mein Fett aufgegeben, / das Götter und Menschen an mir ehren, / und werde hingehen, um über den Bäumen zu schwanken? Da sagten die Bäume zum Feigenbaum: / Geh du hin, sei unser König! Der Feigenbaum sagte zu ihnen: / Habe ich etwa schon meine Süßigkeit / und meine guten Früchte aufgegeben / und werde hingehen, um über den Bäumen zu schwanken? Da sagten die Bäume zum Weinstock: / Geh du hin, sei unser König! Der Weinstock sagte zu ihnen: / Habe ich etwa schon meinen Most aufgegeben, / der Götter und Menschen erfreut, / und werde hingehen, um über den Bäumen zu schwanken? Da sagten alle Bäume zum Dornenstrauch: / Geh du hin, sei unser König! Der Dornenstrauch sagte zu den Bäumen: / Wenn ihr mich wirklich zu eurem König salben wollt, / kommt, bergt euch in meinem Schatten! / Wenn aber nicht, dann soll vom Dornenstrauch Feuer ausgehen / und die Zedern des Libanon fressen.  (Ri 9, 7-15)

Das wohl berühmteste alttestamentliche Gleichnis findet sich in der Zurechtweisung, die der Prophet Nathan dem König David erteilte, nachdem dieser Ehebruch begangen und einen Mord in Auftrag gegeben hatte.

Darum schickte der HERR den Natan zu David; dieser ging zu David und sagte zu ihm: In einer Stadt lebten einst zwei Männer; der eine war reich, der andere arm. Der Reiche besaß sehr viele Schafe und Rinder, der Arme aber besaß nichts außer einem einzigen kleinen Lamm, das er gekauft hatte. Er zog es auf und es wurde bei ihm zusammen mit seinen Kindern groß. Es aß von seinem Stück Brot und es trank aus seinem Becher, in seinem Schoß lag es und war für ihn wie eine Tochter. Da kam ein Besucher zu dem reichen Mann und er brachte es nicht über sich, eines von seinen Schafen oder Rindern zu nehmen, um es für den zuzubereiten, der zu ihm gekommen war. Darum nahm er dem Armen das Lamm weg und bereitete es für den Mann zu, der zu ihm gekommen war. (2 Sam 12, 1-4)

​Aber wir finden auch andere Gleichnisse, so in 2 Samuel 14, 4-11, 1 Könige 20, 35-42 und 2 Könige 14, 8-9. Das Wort Gleichnis (griech. parabolē) gibt in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments das hebräische Wort māshāl wieder, das eine Vielzahl literarischer Formen wie Axiome, Sprichwörter, Rätsel, Ähnlichkeiten und Allegorien bezeichnet. Aber meistens bezieht es sich auf einen erweiterten Vergleich, in dem eine unbekannte Wahrheit dadurch erklärt wird, dass sie mit einem bekannten Aspekt aus der eigenen Erfahrung verglichen wird.  Deshalb sind die Gleichnisse Jesu so einprägsam.

Wenn wir den Kontext der Gleichnisse im Alten Testament betrachten, können wir feststellen, dass sie die bösen Taten der herrschenden Oberschicht anprangern. Mittels der Gleichnisse konfrontierten die Propheten die Führer des Volkes mit ihren Schandtaten. Jesus begegnet mit dem gleichen Mittel dem Unverständnis, dem Unglauben, der Härte und der Ablehnung, die er erfährt. Diese Einstellungen seiner Umgebung bilden den unmittelbaren Kontext für seine Gleichnisse. Er reagiert auf die ablehnende Haltung der Pharisäer und Herodianer, die ihn töten wollen (vgl. Mk 3, 6), der Schriftgelehrten, die ihn beschuldigen, von Beelzebul besessen zu sein (vgl. Mk 3, 22), und sogar seiner Familie und Freunde, die denken, dass „er außer sich“ sei (Mk 3, 21).

​Wenn Jesus offen gesprochen hätte, hätten seine Feinde schon früher versucht, ihn loszuwerden. Er musste daher so reden, dass seine Botschaft einerseits verdeckt, andererseits aber auch verständlich war. Deshalb sprach er in Gleichnissen zu ihnen. Gleichnisse stellen das Herz der Zuhörer auf die Probe und können nur von Menschen wie David verstanden werden, die ernsthaft und demütig nach der Wahrheit suchen. Diese verstehen seine Botschaft, bereuen ihre Sünden und werden Jünger Jesu. Die anderen bleiben außen vor und verhärten ihre Herzen nur noch mehr, dem Beispiel des Pharaos im Buch Exodus folgend. Deshalb sagt Jesus: „Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben, für die aber, die draußen sind, geschieht alles in Gleichnissen“ (Mk 4, 11).

Gleichnisse funktionieren wie Buntglasfenster. Ihre Schönheit kann nur von innen gesehen werden. Von außen betrachtet, sehen sie dunkel und farblos aus. 

Photograph of a rosetta from outside
Photograph of a  rosetta from inside

Ein weiterer Grund, warum die Gleichnisse Jesu oft so schwer zu verstehen sind, liegt darin, dass er häufig ein überraschendes Element oder eine Wendung einfügte, die der alltäglichen Erfahrung der Menschen widersprach. Jesus benutzte diese Technik, um durch die Konfrontation mit etwas Ungewöhnlichem die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu gewinnen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass uns die Gleichnisse Jesu nicht nur in das Geheimnis des Reiches Gottes hineinziehen, indem sie einen Aspekt davon offenbaren, sie verbergen diese Realität gleichzeitig auch durch ihre unerwarteten Wendungen.

Das Gleichnis vom Sämann

Und wieder begann er, am Ufer des Sees zu lehren, und sehr viele Menschen versammelten sich um ihn. Er stieg deshalb in ein Boot auf dem See und setzte sich; die Leute aber standen am Ufer. Und er sprach lange zu ihnen und lehrte sie in Gleichnissen. Bei dieser Belehrung sagte er ihnen: Hört! Siehe, ein Sämann ging hinaus, um zu säen. Als er säte, fiel ein Teil auf den Weg und die Vögel kamen und fraßen es. Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden, wo es nur wenig Erde gab, und ging sofort auf, weil das Erdreich nicht tief war; als aber die Sonne hochstieg, wurde die Saat versengt und verdorrte, weil sie keine Wurzeln hatte. Wieder ein anderer Teil fiel in die Dornen und die Dornen wuchsen und erstickten die Saat und sie brachte keine Frucht. Ein anderer Teil schließlich fiel auf guten Boden und brachte Frucht; die Saat ging auf und wuchs empor und trug dreißigfach, sechzigfach und hundertfach. Und Jesus sprach: Wer Ohren hat zum Hören, der höre! (Mk 4, 1-9)

Er stieg ... in ein Boot auf dem See und setzte sich.“ Es wird angenommen, dass Jesus dieses Gleichnis von einem Boot aus in einer kleinen Bucht am See Gennesaret auf halbem Weg zwischen den Orten Tabgha und Kafarnaum lehrte. Diese halbrunde Bucht bildet eine natürliche Tribüne, da das Ufer zum Wasser hin abfällt und so die Form eines römischen Theaters entsteht. Die Menschen, die dort saßen, konnten Jesus sehen, und die Akustik war so gut, dass bis zu 7000 Menschen ihn auch hören konnten.

Die wörtliche Übersetzung des griechischen Originaltextes lautet: „Er stieg in ein Boot und setzte sich in den See.“ Laut Markus saß Jesus also im See und nicht in einem Boot. Dieser Ausdruck ist seltsam. Jesus saß ganz sicher in einem Boot, aber Markus könnte sich bewusst so ausgedrückt haben, weil er damit auf Psalm 29 anspielen wollte.

Die Stimme des HERRN über den Wassern:

Der Gott der Ehre hat gedonnert, /

der HERR über gewaltigen Wassern.

Die Stimme des Herrn voller Kraft,

die Stimme des HERRN voll Majestät ...

Der HERR thronte über der Flut,

der HERR thronte als König in Ewigkeit. (Ps 29, 3-4.10)

Wir wundern uns vielleicht, warum ein Bauer Samen auf einen Pfad, auf felsigen Boden oder zwischen Dornen sät, aber die Zuhörer Jesu hatten damit kein Problem. Heute pflügen die Bauern ihre Felder vor der Aussaat, aber wir wissen aus rabbinischen Quellen, dass man damals genau umgekehrt vorging: Zuerst wurde ausgesät und dann gepflügt. Daher sind die Umstände, die Jesus beschreibt, plausibel. Ein Bauer konnte Samen auf einen Weg säen, wenn er ihn danach pflügen wollte; oder er stellte erst während des Pflügens fest, dass der Boden felsig war. Und das Unkraut wäre anschließend zusammen mit der Nutzpflanze gewachsen.

In diesem Gleichnis ist die Größe der Ernte überraschend. Obwohl drei Viertel des Samens verschwendet wurden, erbrachte die Ernte „das Dreißigfache und Sechzigfache und Hundertfache“. Das wäre für damalige Verhältnisse eine unglaublich gute Ernte gewesen.

Die Erklärung des Gleichnisses 

Als er mit seinen Begleitern und den Zwölf allein war, fragten sie ihn nach dem Sinn seiner Gleichnisse ... Und er sagte zu ihnen: Wenn ihr schon dieses Gleichnis nicht versteht, wie wollt ihr dann all die anderen Gleichnisse verstehen? Der Sämann sät das Wort. Auf den Weg fällt das Wort bei denen, die es zwar hören, aber sofort kommt der Satan und nimmt das Wort weg, das in sie gesät wurde. Ähnlich ist es bei den Menschen, bei denen das Wort auf felsigen Boden fällt: Sobald sie es hören, nehmen sie es freudig auf; aber sie haben keine Wurzeln, sondern sind unbeständig, und wenn sie dann um des Wortes willen bedrängt oder verfolgt werden, kommen sie sofort zu Fall. Bei anderen fällt das Wort in die Dornen. Sie hören es zwar, aber die Sorgen der Welt, der trügerische Reichtum und die Gier nach all den anderen Dingen machen sich breit und ersticken es und es bleibt ohne Frucht. Auf guten Boden ist das Wort bei denen gesät, die es hören und aufnehmen und Frucht bringen, dreißigfach, sechzigfach und hundertfach. (Mk 4, 10.13-20)

Die Apostel verstehen das Gleichnis nicht, also bitten sie Jesus, es ihnen zu erklären. Er erläutert ihnen, dass das Kommen des Reiches Gottes einem Vorgang aus der Landwirtschaft ähnelt. Samen werden ausgesät, ein Teil der Saat geht auf und bringt Früchte oder Getreide hervor. Der Akt der Aussaat entspricht der Verkündigung des Wortes Gottes: „Der Sämann sät das Wort“ (Mk 4, 14). Jesus spricht also von sich selbst. Er ist gekommen, um das Wort Gottes in die Herzen aller zu säen; nicht nur in die seiner Jünger, sondern auch in die verhärteten Herzen derer, die ihn ablehnen werden – die Pharisäer, Herodianer, die Schriftgelehrten und sogar seine Familie und seine Freunde. Obwohl ihn viele ablehnen, können wir sicher sein, dass sein Wort eine große Ernte hervorbringen und Gottes Reich kommen wird.

In Markus 4, 3 sagt Jesus: „Ein Sämann ging hinaus, um zu säen.“ Eine wörtliche Übersetzung des Griechischen würde lauten „Ein Sämann kam heraus, um zu säen.“ Dieser Ausdruck klingt in unseren Ohren merkwürdig. Deshalb ,korrigierten' die Übersetzer das „kam heraus“ zu „ging hinaus“. Diese Korrektur verstellt den Blick jedoch auf eine mögliche Verbindung zu Markus 1, 38, wo Jesus sagt: „Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort verkünde; denn dazu bin gekommen (wörtlich: herausgekommen [aus dem Himmel])."

Das Gleichnis von der Lampe 

Er sagte zu ihnen: Zündet man etwa eine Leuchte an und stellt sie unter den Scheffel oder unter das Bett? Stellt man sie nicht auf den Leuchter? Denn es gibt nichts Verborgenes, das nicht bekannt werden soll, und nichts Geheimes, das nicht an den Tag kommen soll. Wenn einer Ohren hat zum Hören, so höre er! Weiter sagte er: Achtet auf das, was ihr hört! Nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird euch zugeteilt werden, ja, es wird euch noch mehr gegeben. Denn wer hat, dem wird gegeben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. (Mk 4, 21-25)​

Auch hier ist die Stelle Markus 4, 21 ungenau übersetzt. Das griechische Wort, das Markus benutzt (érchetai) bedeutet nicht ,anzünden', sondern ,kommen'. Außerdem verwendet Markus bei der Lampe den bestimmten und nicht den unbestimmten Artikel. Die wörtliche Übersetzung würde also lauten: „Kommt etwa die Lampe, damit sie unter den Scheffel oder unter das Bett gestellt wird?". In Vers 4, 3 verwendet Markus also das Verb „herauskommen“, in 4, 21 das Verb „kommen", was ebenfalls merkwürdig klingt, weil wir von einer Lampe nicht sagen würden, dass sie kommt. Dies könnte ein weiterer Hinweis darauf sein, dass Jesus in diesem Gleichnis von sich selbst spricht. Er will sagen, dass er gekommen ist, um das Licht zu bringen. Das entspricht dem, was wir im Johannes-Evangelium lesen: „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh 8, 12) und in den Psalmen: „Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte, ein Licht für meine Pfade“ (Ps 119, 105). 

Das Gleichnis vom Wachsen der Saat

Er sagte: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät; dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst und der Mann weiß nicht, wie. Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre. Sobald aber die Frucht reif ist, legt er die Sichel an; denn die Zeit der Ernte ist da. (Mk 4, 26-29)

​Dieses Gleichnis findet sich nur im Markus-Evangelium. Der Sämann und der Ernteeinbringer sind dieselbe Person. Die Botschaft dieses Gleichnisses lautet, dass der Samen in sich die Kraft enthält, zu wachsen und seine Früchte hervorzubringen. Alles, was der Bauer tun muss, ist, bis zur Ernte zu warten. Das Bild von der Ernte wird in der Bibel häufig als Metapher für das bevorstehende Gericht verwendet.

Denn dort will ich zu Gericht sitzen über alle Völker ringsum. Schwingt die Sichel; / denn die Ernte ist reif. (Joel 4, 12-13) 

Dann sah ich und siehe, eine weiße Wolke. Auf der Wolke thronte einer, der wie ein Menschensohn aussah. Er trug einen goldenen Kranz auf dem Haupt und eine scharfe Sichel in der Hand. Und ein anderer Engel kam aus dem Tempel und rief dem, der auf der Wolke saß, mit lauter Stimme zu: Schick deine Sichel aus und ernte! Denn die Zeit zu ernten ist gekommen: Die Frucht der Erde ist reif geworden. Und der auf der Wolke saß, schleuderte seine Sichel über die Erde und die Erde wurde abgeerntet. (Off 14, 14-16)

 

Das Gleichnis vom Senfkorn​

Er sagte: Womit sollen wir das Reich Gottes vergleichen, mit welchem Gleichnis sollen wir es beschreiben? Es gleicht einem Senfkorn. Dieses ist das kleinste von allen Samenkörnern, die man in die Erde sät. Ist es aber gesät, dann geht es auf und wird größer als alle anderen Gewächse und treibt große Zweige, sodass in seinem Schatten die Vögel des Himmels nisten können. (Mk 4, 30-32)​

In diesem Gleichnis vergleicht Jesus das Reich Gottes mit einem Baum und spricht von Vögeln, die darin nisten und in seinem Schatten ruhen. Er war nicht der erste, der dieses Bild verwendete.

Die Bäume des HERRN trinken sich satt,

die Zedern des Libanon, die er gepflanzt hat,

dort bauen die Vögel ihr Nest ... (Ps 104, 16-17)

 

So spricht GOTT, der Herr: Ich selbst nehme vom hohen Wipfel der Zeder und setze ihn ein. Einen zarten Zweig aus ihren obersten Ästen breche ich ab, ich selbst pflanze ihn auf einen hohen und aufragenden Berg. Auf dem hohen Berg Israels pflanze ich ihn. Dort treibt er dann Zweige, er trägt Früchte und wird zur prächtigen Zeder. Alle Vögel wohnen darin; alles, was Flügel hat, wohnt im Schatten ihrer Zweige. (Ez 17, 22-23)​

Jesus dürfte also die Vorlage für dieses Gleichnis aus dem Alten Testament übernommen haben. Dies bestätigt, was wir zuvor bereits festgestellt hatten: Fast alles, was Jesus sagt oder tut, hat in irgendeiner Weise mit dem Alten Testament zu tun. In der oben zitierten Stelle aus dem Buch des Propheten Ezechiel benutzt Gott das Bild von der  Zeder, um damit sowohl etwas über das Königreich Israel als auch über das messianische Königreich auszusagen. Die Zeder zählt zu den edelsten Bäumen, die es gibt. Sie ist stark, langlebig und duftend; sie wächst sehr hoch und hat weit ausladende Zweige, so dass sogar der Adler sein Nest in ihr baut; ihr Holz ist von so hoher Qualität, dass es zum Bau von Tempeln, Palästen, Streitwagen und Schiffen verwendet wurde. Die Zeder wird in der Bibel über siebzig Mal erwähnt – oft als Bild für eine mächtige Nation, für das Gedeihen der Gerechten oder für die Herrlichkeit Christi.

Siehe, Assur: / Eine Zeder auf dem Libanon,

prächtig war das Geäst, / reichlich der

Schatten, / hoch der Wuchs und in die Wolken ragte ihr Wipfel. (Ez 31, 3)

 

Der Gerechte sprießt wie die Palme,

er wächst wie die Zeder des Libanon. (Ps 92, 13)

 

Seine Schenkel sind Säulen aus Marmor, /

auf Sockel von Feingold gestellt.

Seine Gestalt ist wie der Libanon, / erlesen wie Zedern. (Hld 5, 15)

Die überraschende Wendung in diesem Gleichnis liegt darin, dass Jesus das Reich Gottes mit einem Senfgewächs statt mit einer Zeder vergleicht. Exegeten sind sich nicht einig, auf welche Art von Senf Jesus sich bezog. Etliche glauben, dass er den schwarzen Senf (Brassica nigra) meinte. Diese Wendung wäre für seine Zuhörer in der Tat sehr unerwartet gewesen, denn eine Senfpflanze hat nichts mit einer Zeder gemein. Botanisch gesehen handelt es sich nicht einmal um einen Baum, sondern um eine krautige Ackerpflanze, die allerhöchstens drei Meter hoch wächst. Zedern hingegen können bis zu vierzig Meter Höhe erreichen.​

Mit diesem unerwarteten Schwenk in einem ansonsten bekannten Bild will Jesus uns sagen, dass das Reich Gottes auf Erden nicht so aussehen wird, wie wir es vielleicht erwarten. Wir stellen uns oft vor, dass die Kirche perfekt, heilig und schön sein sollte – wie eine Zeder. Aber die Wahrheit ist, dass sie eher wie eine bescheidene Senfpflanze aussieht. Sie ist ein rätselhaftes Gebilde: sie umfasst Heilige und Sünder. Aber wir können sicher sein, dass sie auf geheimnisvolle Weise wachsen und die Ernte hervorbringen wird, die Gott von ihr erwartet.

Aufgaben

  • Tragen Sie die Gleichnisse Jesu in die Tabelle ein! Sie können dafür die angehängte Datei verwenden (im Excel- oder PDF-Format)!​​

  • Wählen Sie eines der folgenden Gleichnisse aus dem Alten Testament und erklären Sie, wie damit die herrschenden Führer in Israel kritisiert werden!

    • 2 Samuel 14, 4-11

    • 1 Könige 20, 38-42

    • 2 Könige 14, 8-9

  • Warum lehrte Jesus in Gleichnissen?

  • Beschreiben und erklären Sie die Bedeutung der beiden Gleichnisse vom Sämann und vom Senfkorn!

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