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Die Hauptthemen

Jüngerschaft

Mosaic of Jesus with the apostles

(Bildausschnitt: Nick Thompson auf Flickr - CC BY-NC-SA 2.0)

Übersicht

In dieser Lerneinheit werden wir das für Markus dritte wichtige Thema untersuchen: Jüngerschaft. Was heißt es, ein Jünger Jesu zu sein? Nach Markus ist ein Jünger dazu berufen, Jesus nachzufolgen, von ihm zu lernen und gesendet zu werden, um wie Jesus zu handeln. Er ist auch aufgefordert, sein Kreuz auf sich zu nehmen. Weil aber nicht jeder Christ Verfolgung erleidet oder um seines Glaubens willen getötet wird, kann ,sein Kreuz auf sich nehmen' auch bedeuten, anderen zu dienen, Versuchungen zu widerstehen, andere nicht zur Sünde zu verleiten, treu in der Ehe zu sein und nicht an weltlichen Gütern zu hängen. 

Lernziele

Sie werden diese Lerneinheit erfolgreich abgeschlossen haben, wenn Sie

  • erklären können, warum Jüngerschaft eines der Hauptthemen des Evangeliums ist;

  • den Zyklus der Jüngerschaft verstehen und erklären können;

  • die Beziehung zwischen der Heilung des Blinden bei Betsaida und der des blinden Bartimäus erklären können;

  • die Bedingungen beschreiben können, die Jesus von einem Jünger verlangt.

Jüngerschaft

Jüngerschaft ist das letzte wichtige Thema, das wir in diesem Abschnitt untersuchen werden. Wie wir sahen, datieren die meisten Wissenschaftler das Markus-Evangelium auf die 60er oder 70er Jahre, nachdem Kaiser Nero mit der Verfolgung der Christen in Rom begonnen hatte. Sie vermuten deshalb, dass Markus sein Evangelium schrieb, um diese Christen darin zu unterstützen, trotz ihres Leidens im Glauben an Jesus standhaft zu bleiben. Seine Botschaft lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Ein Jünger ist berufen, seinem Meister zu folgen, d. h. wenn Jesus bereitwillig den Weg des neuen Exodus auf sich nahm, der für ihn Passion und Tod in Jerusalem bedeutete, dann sollen seine Jünger ebenfalls bereit sein, ihm zu folgen und das gleiche Schicksal zu erleiden.

 

Wortwahl

Wie wichtig das Thema Jüngerschaft für Markus war, lässt sich daran erkennen, wie oft er das Wort ,Jünger' im Text verwendet: Es kommt mehr als vierzigmal vor.

Map of the word “disciple.”

Veranschaulichung des Begriffes „Jünger“ im Evangelium.

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Wir finden aber auch noch andere Schlüsselbegriffe, die zum Thema Jüngerschaft gehören:

  • rufen, berufen (kalein und proskalein)

  • nachfolgen (akolouthein)

  • hinterher (opiso)

  • aussenden (apostelein)

  • glauben/vertrauen (pisteuein)

  • die Zwölf

Diese Begriffe finden sich gleichmäßig über das Evangelium verteilt, was darauf schließen lässt, dass Jüngerschaft ein Thema des ganzen Buches ist, nicht nur das eines bestimmten Abschnitts.

Berufungserzählungen

Ein Jünger ist jemand, der von Jesus auffordert wird, ihm zu folgen. Markus schildert an zwei Stellen die Berufung einiger Apostel:

  • die Berufung des Simon, des Andreas, des Jakobus und des Johannes (1, 16-20);

  • die Berufung des Levi (2, 13-14).

Jesus berief jedoch nicht nur die zwölf Apostel, er lud auch andere ein, ihm zu folgen, und viele weitere taten dies aus eigenem Antrieb. Ein Jünger aber wird nicht nur in die Nachfolge berufen, sondern auch zu einer Mission ausgesandt. Wir finden viele Beispiele von Menschen, die Jesus nachfolgen oder von ihm ausgesandt werden.

  • ... da waren viele Zöllner und Sünder zusammen mit ihm und seinen Jüngern zu Tisch; es waren nämlich viele, die ihm nachfolgten. (2, 15)

  • Jesus zog sich mit seinen Jüngern an den See zurück. Viele Menschen aus Galiläa aber folgten ihm nach. (3, 7)

  • Jesus stieg auf einen Berg und rief die zu sich, die er selbst wollte, und sie kamen zu ihm. Und er setzte zwölf ein, damit sie mit ihm seien und damit er sie aussende, zu verkünden ... (3, 13-14)

  • Aber Jesus erlaubte es ihm nicht, sondern sagte: Geh nach Hause und berichte deiner Familie alles, was der Herr für dich getan und wie er Erbarmen mit dir gehabt hat! (5, 19)

  • Von dort brach Jesus auf und kam in seine Heimatstadt; seine Jünger folgten ihm nach. (6, 1)

  • Er rief die Zwölf zu sich und sandte sie aus, jeweils zwei zusammen. (6, 7)

  • Er rief die Volksmenge und seine Jünger zu sich und sagte: Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. (8, 34)

  • Im gleichen Augenblick konnte er sehen und er folgte Jesus auf seinem Weg nach. (10, 52)

  • Die Leute, die vor ihm hergingen und die ihm nachfolgten, riefen: Hosanna!“ (11, 9)

  • Da schickte er zwei seiner Jünger voraus und sagte zu ihnen: Geht in die Stadt; dort wird euch ein Mensch begegnen, der einen Wasserkrug trägt. Folgt ihm, ... (14, 13)

  • Nun aber geht und sagt seinen Jüngern und dem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat. (16, 7)

Der Kreislauf der Jüngerschaft

Wie bereits gesagt, berief Jesus seine Apostel nicht nur dazu, ihm nachzufolgen, sondern er sandte sie auch aus. Darauf musste er sie jedoch vorbereiten. Während die Jünger Jesus begleiten, bildet er sie ständig für ihren künftigen Dienst aus. Er formt sie durch seine Lehre, vor allem jedoch durch sein eigenes Vorbild.

Markus 3, 20ff. stellt uns Jesus in verschiedenen Konfliktsituationen vor Augen. Seine Angehörigen wollen ihn ergreifen, weil sie ihn für verrückt halten, und die Schriftgelehrten beschuldigen ihn, er sei von einem bösen Geist besessen. Die Apostel erleben, wie Jesus in diesen Situationen reagiert, und lernen von ihm. Das ist wichtig, denn auch sie werden später Konfliktsituationen durchmachen.

In Kapitel 4 spricht Jesus erstmals in Gleichnissen über das Reich Gottes. Die Apostel verstehen ebensowenig wie alle anderen, was er damit sagen will. Daher nimmt Jesus sie beiseite und erklärt ihnen im kleinen Kreis die Bedeutung der Gleichnisse. Sie werden diese später anderen weitererzählen, und darauf bereitet Jesus sie vor.

In Kapitel 5 werden die Apostel Zeugen davon, wie Jesus Dämonen austreibt und Kranke heilt. Auch sie werden eines Tages Dämonen austreiben. Dazu müssen sie aber das ,Wie' erlernen und vor allem wissen, dass man die dämonischen Mächte nicht aus eigener Kraft angreifen sollte. Man kann dies nur im Namen Jesu tun.

Schließlich wird Jesus in Kapitel 6 von seinen eigenen Angehörigen abgelehnt.

Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns? Und sie nahmen Anstoß an ihm. (Mk 6, 3)

Auch dies ist eine Erfahrung, die viele Jünger machen. Deshalb ist es tröstlich zu wissen, dass Jesus die gleiche Ablehnung erfuhr, die wir manchmal erleiden. Man findet die Kraft, das eigene Leiden zu ertragen, wenn es mit ihm geteilt wird.

Erst wenn die Apostel nach durchlaufener Ausbildung gerüstet sind, werden sie von Jesus ausgesandt, um dasselbe zu tun, was sie ihn tun sahen: predigen, heilen und Dämonen austreiben.

Und sie zogen aus und verkündeten die Umkehr. Sie trieben viele Dämonen aus und salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie. (Mk 6, 12-13)

Wir wissen nicht, wie lange das ,apostolische Praktikum' der Apostel dauerte, doch am Ende kehrten sie zu Jesus zurück und berichteten von ihren Erlebnissen.

Die Apostel versammelten sich wieder bei Jesus und berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. (Mk 6, 30)

Er wollte auch, dass seine Apostel ein ausgeglichenes Leben führen – wie wir es bei ihm in Kapitel 1 sahen – darum sagte er zu ihnen:

Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus! (Mk 6, 31)

Leider kamen sie am Ende nicht dazu wegen der großen Menschenmenge, die ihnen gefolgt war. Aber Jesus macht deutlich, dass Erholung ein ebenso wichtiger Teil der Jüngerschaft ist.

Sobald die Apostel zu Jesus zurückgekehrt sind, beginnt der Kreislauf von Neuem. Wir können diesen Zyklus der Jüngerschaft mit einer Uhr vergleichen: Wenn der große Zeiger auf der 12 steht, beruft Jesus die Apostel. Wenn der große Zeiger auf die 3 zugeht, versammeln sich die Apostel um ihn, und er formt sie durch sein Beispiel. Die Apostel sehen, wie sich Jesus in bestimmten Situationen wie Lehren, Konfliktbewältigung, Dämonenaustreibung, Heilung oder Ablehnung verhält. Steht der große Zeiger auf der 6, sendet Jesus die Apostel aus, um das umzusetzen, was sie bei ihm gelernt haben. Rückt der Zeiger endlich wieder auf die 12 vor, kehren die Apostel zu ihm zurück.

Image of moving hands of a clock representing the cycle of discipleship

Der Kreislauf der Jüngerschaft.

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Heute sind wir seine Jüngerinnen und Jünger, die er ebenso formt.

Die Heilung des Blinden bei Betsaida 

In Kapitel 8 berichtet Markus, wie Jesus einen blinden Mann heilt.

Sie kamen nach Betsaida. Da brachte man einen Blinden zu Jesus und bat ihn, er möge ihn berühren. Er nahm den Blinden bei der Hand, führte ihn vor das Dorf hinaus, bestrich seine Augen mit Speichel, legte ihm die Hände auf und fragte ihn: Siehst du etwas? Der Mann blickte auf und sagte: Ich sehe Menschen; denn ich sehe etwas, das wie Bäume aussieht und umhergeht. Da legte er ihm nochmals die Hände auf die Augen; nun sah der Mann deutlich. Er war wiederhergestellt und konnte alles ganz genau sehen. (Mk 8, 22-25)

Dieser Bericht findet sich nur im Markus-Evangelium. Bisher wollte Markus anhand der Wunder nach und nach die Göttlichkeit Jesu offenbaren. Dieses Wunder dagegen ist einzigartig. Es ist das einzige Wunder, das auf den ersten Blick nicht zu funktionieren scheint. Denn nachdem Jesus dem Mann seine Hände aufgelegt hatte, konnte dieser zwar sehen, doch sah er Menschen, die wie Bäume aussahen. Daher musste Jesus seine Hände noch einmal auflegen. Hatte Jesus das erste Mal versagt? Natürlich nicht, da er Gott ist, kann er bei dem, was er tut, nicht versagen.

Die Heilung der physischen Blindheit dieses Mannes ist ein Zeichen für die Heilung der spirituellen Blindheit der Jünger. Markus will uns durch dieses Wunder sagen, dass wir schrittweise von unserer geistigen Blindheit – oder unserem mangelnden Glauben – geheilt werden. So geschah es mit Petrus. In den an das Wunder anschließenden Versen bekennt Petrus, dass Jesus der Christus ist. Er hat gewissermaßen angefangen zu sehen, aber sein Glaube ist noch unvollkommen, weil er sich in der unmittelbar darauf folgenden Stelle weigert zu akzeptieren, dass Jesus leiden und sterben muss.

Da nahm ihn [Jesus] Petrus beiseite und begann, ihn zurechtzuweisen. Jesus aber wandte sich um, sah seine Jünger an und wies Petrus mit den Worten zurecht: Tritt hinter mich, du Satan! Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen. (Mk 8, 32-33)

Die Heilung des blinden Bartimäus

Am Ende von Kapitel 10 berichtet Markus von einer weiteren Blindenheilung – kurz bevor Jesus in Jerusalem einzieht.

Sie kamen nach Jericho. Als er mit seinen Jüngern und einer großen Menschenmenge Jericho wieder verließ, saß am Weg ein blinder Bettler, Bartimäus, der Sohn des Timäus. Sobald er hörte, dass es Jesus von Nazaret war, rief er laut: Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir! Viele befahlen ihm zu schweigen. Er aber schrie noch viel lauter: Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir! Jesus blieb stehen und sagte: Ruft ihn her! Sie riefen den Blinden und sagten zu ihm: Hab nur Mut, steh auf, er ruft dich. Da warf er seinen Mantel weg, sprang auf und lief auf Jesus zu. Und Jesus fragte ihn: Was willst du, dass ich dir tue? Der Blinde antwortete: Rabbuni, ich möchte sehen können. Da sagte Jesus zu ihm: Geh! Dein Glaube hat dich gerettet. Im gleichen Augenblick konnte er sehen und er folgte Jesus auf seinem Weg nach. (Mk 10, 46-52)

Dieses Wunder lehrt uns eine weitere wichtige Wahrheit über Jüngerschaft: Ein wahrer Jünger Jesu ist jemand, der seinen Glauben öffentlich bekennt, beharrlich betet und jedes Hindernis überwindet, damit er Jesus auf seinem Weg folgen kann. Bartimäus tat genau das, und darum ist er ein Vorbild für uns. Um diese Bedeutung zu erkennen, müssen wir nicht nur die Wortwahl, sondern auch die von Markus verwendeten Strukturen analysieren – im Besonderen seine Wiederholungen und Klammern. Erinnern Sie sich daran, dass Autoren dieses literarische Mittel benutzen, um ihre Leser auf den Text zwischen den ,Buchstützen' aufmerksam zu machen, der im Licht des eingeschobenen Themas gelesen werden sollte.

Bartimäus ruft Jesus als den Sohn Davids an und bekennt dadurch öffentlich seinen Glauben an ihn als den Messias. Darin ähnelt er dem Petrus, der dasselbe bekannt hatte. Aber Markus lenkt unsere Aufmerksamkeit auch auf die Unterschiede, die zwischen den beiden bestehen. Ein Unterschied liegt darin, dass das Petrus-Bekenntnis in einer vertraulichen Situation erfolgt, während das Bartimäus-Bekenntnis in der Öffentlichkeit vollzogen wird. Das ist bedeutsam, weil Jesus bis dahin den Menschen immer wieder verboten hatte, öffentlich von ihm zu sprechen.

... und [er]sagte zu ihm: Sieh, dass du niemandem etwas sagst ... (Mk 1, 44)

Doch er gebot ihnen, niemandem etwas über ihn zu sagen. (Mk 8, 30)

Markus verwendet eine Klammer, indem er den Ausruf wiederholt: Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner!

Sobald er hörte, dass es Jesus von Nazaret war, rief er laut: Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir! Viele befahlen ihm zu schweigen. Er aber schrie noch viel lauter: Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir! (Mk 10, 47-48)

Durch die Wiederholung möchte Markus die Berharrlichkeit des Bartimäus im Gebet hervorheben. Obwohl er von der Menge zurechtgewiesen wird, hört er nicht auf zu rufen und zu bitten. Im Gegenteil, er ruft nur umso lauter. Das griechische Wort für ,Zurechtweisung' verwendet Markus auch an der Stelle, als Jesus von Petrus zurechtgewiesen wird (8, 32). (In der deutschen Einheitsübersetzung kommt diese Parallelität nicht zum Ausdruck!) Auch damit weist Markus auf einen Unterschied zwischen Bartimäus und Petrus hin.

Eine weitere Wiederholung finden wir in 10, 36 und 10, 51.

Was soll ich für euch tun?

Was willst du, dass ich dir tue?

Diese Wiederholung betont ebenfalls den Unterschied zwischen Bartimäus und den Aposteln. Bartimäus möchte nicht länger herumsitzen, er möchte geheilt werden, um Jesus auf seinem Weg zu folgen.

Im gleichen Augenblick konnte er sehen und er folgte Jesus auf seinem Weg nach. (Mk 10, 52)

Die Apostel hingegen haben Angst davor, Jesus zu folgen, und wollen sich setzen.

Während sie auf dem Weg hinauf nach Jerusalem waren, ging Jesus voraus. Die Leute wunderten sich über ihn, die ihm nachfolgten aber hatten Angst. (Mk 10, 32)

Da traten Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, zu ihm und sagten: Meister, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst. Er antwortete: Was soll ich für euch tun? Sie sagten zu ihm: Lass in deiner Herrlichkeit einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen! (Mk 10, 35–37)

Die Bedeutung des Glaubens

Die Heilung der zwei Blinden bildet wiederum eine Klammer. Mit ihrer Hilfe können wir die Bedeutung des Wunders in Kapitel 9 verstehen, das zwischen diese beiden Heilungen eingeschoben ist. Als Jesus nach der Verklärung vom Berg herabsteigt, findet er seine Apostel mit einigen Schriftgelehrten im Streit. Als er nach dem Grund fragt, antwortet ihm jemand:

Meister, ich habe meinen Sohn zu dir gebracht. Er ist von einem stummen Geist besessen; immer wenn der Geist ihn überfällt, wirft er ihn zu Boden und meinem Sohn tritt Schaum vor den Mund, er knirscht mit den Zähnen und wird starr. Ich habe schon deine Jünger gebeten, den Geist auszutreiben, aber sie hatten nicht die Kraft dazu. (Mk 9, 17–18)

Jesus entgegnet:

O du ungläubige Generation! Wie lange muss ich noch bei euch sein? Wie lange muss ich euch noch ertragen? Bringt ihn zu mir! (Mk 9, 19)

Jesus spricht mit dem Vater des Jungen und versichert ihm: „Alles kann, wer glaubt" (Mk 9, 23). Als Nächstes lesen wir: „Da rief der Vater des Knaben: Ich glaube; hilf meinem Unglauben!" (Mk 9, 24). Daraufhin heilt Jesus seinen Sohn. Markus möchte uns damit sagen, dass ein Jünger an Jesus glauben muss.

Die Bedingungen der Jüngerschaft

Die Erzählung von der Aussendung der Jünger wird unterbrochen durch die Geschichte über den Tod Johannes des Täufers (Mk 6, 14-29). Diese beiden Erzählungen bilden ein sogenanntes Markus-Sandwich. Die Botschaft des Markus ist klar: Jüngerschaft kann bis zum Martyrium führen. Der Tod Johannes des Täufers ist nicht nur eine Vorbildung des Todes Jesu, sondern ebenso eine des Todes seiner Anhänger.

Mit dieser Botschaft erreichte Markus sicherlich seine damalige Zielgruppe. Erinnern Sie sich, dass er an die Christen in Rom schreibt! Sie wurden verfolgt. Markus will ihnen vermitteln, dass Jesus-Nachfolge dauerhafte Verfolgung mit sich bringt. Doch trotz ihrer ständigen Prüfungen sollen seine Jünger darauf vertrauen, dass sie dem einzig wahren Gott folgen, denn er hatte ebenso gelitten wie sie.

Jeder Vorhersage Jesu folgen besondere Unterweisungen an die Jünger. Wer ihm nachfolgen will, muss bereitwillig sein Kreuz auf sich nehmen.

Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten. (Mk 8, 34-35)

Aber nicht jeder Christ ist Verfolgung ausgesetzt oder wird um seines Glaubens willen getötet. Was bedeutet ,sein Kreuz auf sich nehmen' für jene, die nicht zu Märtyrern berufen sind? Was sind die Bedingungen der Jüngerschaft für sie? Jesus beantwortet diese Fragen, indem er sagt:

Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein. (Mk 9, 35)

Sein Kreuz auf sich nehmen und Jesus nachfolgen, heißt: anderen dienen. Die Apostel hatten gerade darüber gestritten, wer der Größte sei, Jesu aber weist sie zurecht. Sein Kreuz auf sich nehmen, bedeutet auch:

  • Andere nicht zur Sünde zu verführen und allen Versuchungen zu sündigen zu widerstehen: „Wenn dir deine Hand Ärgernis gibt, dann hau sie ab ...." (Mk 9, 43).

  • Treu zu sein in der Ehe: „Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen" (Mk 10, 9).

  • Nicht an materiellen Besitz gebunden zu sein: „Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen!" (Mk 10, 23).

Jesus lehrt all dies, nachdem er zum zweiten Mal von seiner bevorstehenden Passion gesprochen hat. Dieses Muster wiederholt sich nach der dritten Ankündigung. Er sagt ihnen noch einmal, dass ein Jünger berufen ist, zu dienen.

Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele. (Mk 10, 43-45)

 Aber Jesus schenkt seinen Jüngern auch ein Wort der Ermutigung:

Amen, ich sage euch: Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen. Jetzt in dieser Zeit wird er Häuser und Brüder, Schwestern und Mütter, Kinder und Äcker erhalten, wenn auch unter Verfolgungen, und in der kommenden Welt das ewige Leben. (Mk 10, 29-30)

Die Verbindung zu unserer LC/RC-Spiritualität

In den Statuten der Legionäre Christi und des Regnum Christi heißt es:

In ihrer Sendung, Apostel zu formen, der Kirche dienende christliche Führungspersonen, vergegenwärtigen die Legionäre das Geheimnis Christi, der die Apostel um sich schart, ihnen die Liebe seines Herzens offenbart, sie formt und aussendet, um sie an der Errichtung seines Reiches mit ihm mitwirken zu lassen (vgl. Mk 3, 13-14; Mt 10, 5-10; Mt 28, 18-20). (CLC 4)

Wir verwirklichen unseren Auftrag, indem wir folgendes Geheimnis des Lebens Christi vergegenwärtigen: Er geht auf die Menschen zu; er offenbart ihnen seine Liebe; er sammelt sie; er befähigt sie als Apostel und Menschen mit christlichem Leadership; er sendet und begleitet sie, damit sie mitarbeiten, um die Menschen und die Gesellschaft zu evangelisieren. (SRCF 8)

Ein Apostel ist jemand, der von Christus berufen, von ihm geformt und ausgesandt wird. Dies ist kein einmaliger, sondern ein fortlaufender Prozess, wie wir beim Zyklus der Jüngerschaft gesehen haben. Unsere Aufgabe als geistliche Gemeinschaft innerhalb der katholischen Kirche besteht darin, dieses Geheimnis in der Welt zu verwirklichen. Was bedeutet das?

Die Bedeutung des Wortes ,Mysterium'

In unserer Kultur verbinden wir mit dem Wort ,Mysterium' häufig etwas, das geheimnisvoll ist oder unser Verständnis übersteigt. So bezeichnen wir zum Beispiel unerklärliche Naturphänomene als Mysterien der Natur. Aber Paulus gebraucht in seinen Briefen das griechische Wort in einem anderen Sinn. Für ihn ist ein Mysterium genau das Gegenteil eines Geheimnisses, weil damit etwas bezeichnet wird, das enthüllt oder offenbart wurde und deshalb eben kein Geheimnis mehr ist.

Die Bedeutung des Wortes bei Paulus kommt derjenigen nahe, die wir aus Kriminalromanen kennen. Bei dieser literarischen Gattung wird ein Verbrechen begangen, aber bis zum Schluss bleibt offen, wer der Mörder ist. Erst im letzten Kapitel wird er enttarnt. Paulus benutzt diesen Begriff für verschiedene Wahrheiten, die über Gott ausgesagt werden und über seinen Plan für uns, den wir aus eigenem Vermögen nicht erkennen können. Trotzdem kennen wir ihn, weil Gott ihn uns offenbart hat.

 

Das Leben der Dreifaltigkeit ist dafür ein gutes Beispiel. Wir würden nie wissen, dass Gott dreifaltig ist, wenn er es uns nicht offenbart hätte (vgl. KKK 237). Unsere Erlösung in Jesus Christus ist ein weiteres Beispiel. Paulus bezeichnet unsere Erlösung als Mysterium, weil es den Vorvätern verborgen war, aber durch den Heiligen Geist den Aposteln und den Propheten offenbart wurde (vgl. Eph 3, 1-6).

 

Der Katechismus, der die Tradition der Kirche aufnimmt, lehrt, dass Jesu ganzes Leben ein Mysterium war, weil alles in seinem Leben die verborgene Wahrheit seiner Göttlichkeit offenbarte.

Im Leben Jesu ist alles – von den Windeln bei seiner Geburt bis zum Essig bei seinem Leiden und zum Grabtuch bei seiner Auferstehung – Zeichen seines innersten Geheimnisses. Durch seine Taten, seine Wunder, seine Worte wurde offenbar, dass in ihm die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig" wohnt (Kol 2, 9). Sein Menschsein erscheint so als das Sakrament", das heißt als Zeichen und Werkzeug seiner Gottheit und des Heils, das er bringt: Was in seinem Leben zu sehen war, verwies auf das unsichtbare Mysterium seiner Gottessohnschaft und seines Erlösungsauftrags. (KKK 515)

 

Wenn alles im Leben Jesu ein Mysterium ist, dann kann der Zyklus der Jüngerschaft ebenso als ein Mysterium bezeichnet werden.

Die Bedeutung des Begriffs ,verwirklichen'

Für uns Christen sind diese Mysterien nicht einfach nur abstrakte Ideen, an die wir glauben sollen. Wir sind aufgerufen, sie zu leben oder an ihnen teilzuhaben und sie auf diese Weise in unserem Leben zu verwirklichen. Wiederum ist die Dreifaltigkeit ein gutes Beispiel dafür. Gott will nicht nur, dass wir von seiner Dreifaltigkeit wissen, sondern die Taufe bewirkt, dass der Täufling dem Pascha-Mysterium Christi gleichgestaltet wird und so in das Leben der heiligsten Dreifaltigkeit eintritt" (KKK 1239).

In den Evangelien lesen wir, dass Jesus seine göttliche Identität offenbarte, indem er die Kranken heilte. Dasselbe tat er durch seine Predigten. Manche Menschen sind dazu berufen in dieser Welt das Mysterium des lehrenden Christus, andere die des heilenden Christus zu verwirklichen. Das schaffen sie nicht aufgrund ihrer eigenen Bemühungen oder ihrer menschlichen Fähigkeiten, sondern weil Christus durch sie wirkt. Aufgrund ihrer Taufe ist er in ihnen gegenwärtig, und durch sie ist er auch in unserer Welt gegenwärtig und führt sein Werk der Erlösung fort.

Alles, was Christus gelebt hat, lässt er uns in ihm leben, und er lebt es in uns. „Denn er, der Sohn Gottes, hat sich in seiner Fleischwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt." Wir sollen mit ihm eines Wesens werden; er lässt uns als die Glieder seines Leibes an dem teilnehmen, was er in seinem Fleisch für uns und als unser Vorbild gelebt hat.

Wir müssen die Zustände und Mysterien Jesu in uns weiter und zu Ende führen und ihn oft bitten, er solle sie in uns und in seiner ganzen Kirche vollenden und vollbringen ... Der Sohn Gottes hat nämlich vor, durch die Gnaden, die er durch diese Mysterien uns mitteilen, und durch die Wirkungen, die er durch sie in uns hervorbringen will, uns an seinen Mysterien teilhaben zu lassen, sie gleichsam auszudehen und sie in uns und in seiner ganzen Kirche gewissermaßen weiterzuführen. Und auf diesem Weg will er sie in uns zu Ende führen." (KKK 521)

 

Unser Charisma

 

Im Sinne dieser Bedeutung des Wortes Mysterium schreibt Johannes Paul II., dass eine religiöse Gemeinschaft ein authentisches Charisma hat, wenn sie Zeugnis ablegt für einige Aspekte seines [Christi] Mysteriums (vgl. Mutuae Relationes 51).

Das Charisma der Legionäre Christi und des Regnum Christi besteht darin, das Mysterium des Zyklus der Jüngerschaft zu verwirklichen. Durch uns streckt sich Jesus weiterhin nach den Menschen aus, offenbart ihnen seine Liebe, sammelt sie um sich und bildet sie zu Aposteln und christlichen Leitern aus, um sie wiederum auszusenden, damit sie dies mit anderen tun. Die ganze Zeit über begleitet uns Jesus dabei, sofern wir mit ihm im Hinblick auf die Evangelisation der Menschen und der Gesellschaft zusammenarbeiten (s. SRFC 8). Wir sind berufen, dieses besondere Mysterium Christi zu verwirklichen. Das ist unser Charisma.

​Zusammenfassung

Wir können zusammenfassen: Für Markus ist ein Jünger jemand, der (1) von Jesus berufen wird, mit ihm zu gehen und von ihm zu lernen; (2) gesendet wird, um seine Worte weiterzugeben und seine Werke zu tun. Doch Markus möchte uns auch wissen lassen, dass ein Jünger demütig sein soll, weil die Berufung ihn nicht besser macht als andere. In der Tat scheut er sich nicht, uns die Fehler der Apostel aufzuzeigen:

  • Sie verstehen nicht (8, 21);

  • Es fehlt ihnen der Glaube (4, 40);

  • Sie hindern Menschen daran, zu Jesus zu kommen (10, 13);

  • Sie sind feige. (10, 32).

Im Vergleich dazu stellt er andere (sogar Heiden) in einem positiveren Licht dar:

  • die Freunde des Gelähmten (2, 3-5);

  • die blutflüssige Frau (5, 24-34);

  • die Syrophönizierin (7, 24-30);

  • die arme Witwe, die zwei kleine Münzen gab (12, 41-44).

Aufgaben

  • Fügen Sie aus den Kapiteln 8 bis 10 die Stellen in die Tabelle ein, in denen Jesus seine Passion und seinen Tod ankündigt und seinen Jüngern Anweisungen erteilt! Sie können die angehängten Dateien dafür benutzen (in Excel oder PDF-Format).​

  • Woher wissen wir, dass Jüngerschaft eines der Hauptthemen des Evangeliums ist?

  • Beschreiben Sie den Zyklus der Jüngerschaft!

  • Erläutern Sie den Zusammenhang der Klammer, die von den beiden Blindenheilungen gebildet wird, mit dem Thema Jüngerschaft!​

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